Geschichte des Stadtteils Auerberg

Von der Frühgeschichte bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts

Die älteste Spur menschlicher Besiedlung im Auerberg ist ein 1969 entdecktes Grab aus der späten Hallstattzeit (um 500 vor Christus).[4] Zur Römerzeit lag das Gebiet unmittelbar nördlich der römischen Siedlungen um das im frühen 1. Jahrhundert errichtete Legionslager (castra Bonnensia); eine Römerstraße (die heutige Kölnstraße) führte als Teil der römischen Rheintalstraße hier entlang in Richtung Köln.

Schon damals und in den folgenden Jahrhunderten wurde das Areal landwirtschaftlich genutzt; noch bis ins 19. Jahrhundert hinein ist Weinbau nachweisbar.[5] Aufgrund der guten Luftzirkulation wurden im 15. und 16. Jahrhundert auch einige Windmühlen errichtet. Die letzte Mühle (an der Auerberger Terrassenkante zwischen der heutigen Londoner Straße und der Straße An der Rheindorfer Burg) stellte erst 1899 ihren Betrieb ein.

Preußischer Meilenstein („Adlerstein“) an der Ecke Kölnstraße/Engländerweg; hier verlief zur Franzosenzeit die Grenze zwischen den beiden Départements In Mittelalter und Früher Neuzeit verlief die mit Bannsteinen markierte nördliche Grenze des Bonner Stadtbanns durch Auerberger Gebiet.[7] Nach der Besetzung des linken Rheinufers durch die Franzosen 1794 verlief ab 1798 bis 1814 die Grenze zwischen den Départements de Rhin-et-Moselle und de la Roer durch Auerberger Gebiet (entlang des Engländerwegs, der heutigen Grenze zwischen Auerberg und Hersel).

Seit dem Hochmittelalter befand sich in der Gemarkung südlich der heutigen Mauer des Nordfriedhofs an der Kölnstraße bis in die Frühe Neuzeit hinein die Hinrichtungsstätte der Bonner Hochgerichtsbarkeit. Erste Hinrichtungen am Galgen sind 1143 bezeugt; die Toten wurden auf dem benachbarten Schindanger begraben. Die letzte Hinrichtung fand 1777 stand; 1794 wurde der Galgen abgerissen.

Im 14. Jahrhundert errichtete die Stadt Bonn in der Gemarkung up der Hüh (an der heutigen Kreuzung von Kölnstraße und An der Josefshöhe) ein Siechenhaus, zu dem 1412 eine Lazarus-Kapelle hinzukam.[9] 1713 wurde das Siechenhaus geschlossen und von der städtischen Armenverwaltung als Gutshof weitergeführt. 1868 wurde das Gelände vom Katholischen Verein in Bonn erworben, der dort 1872 die Erziehungsanstalt St. Joseph an der Höhe (das heutige Collegium Josephinum) als Waisenhaus errichtete. Die Lazarus-Kapelle wurde 1883 abgerissen und bis 1886 durch einen neugotischen Kirchenbau ersetzt.

1884 wurde entlang der Kölnstraße der Nordfriedhof eröffnet, der heute nach mehrfachen Erweiterungen Bonns größter Friedhof ist.

Im Jahr 1902 befanden sich auf dem Gebiet des heutigen Stadtteils Auerberg außer der Erziehungsanstalt St. Joseph nur die Friedhofsverwaltung des Nordfriedhofs, eine benachbarte Gärtnerei, ein Bauernhof und eine Gaststätte; die Einwohnerzahl betrug insgesamt 40.[11] Erst im frühen 20. Jahrhundert begann die systematische Besiedlung des Gebietes.

Zuflucht für Aussätzige und Fürsorge für Jugendliche

Die ältesten Siedlungsspuren reichen weit mehr als 100 Jahre zurück. Sie liegen im Bereich der Klosterkirche des Redemptoristenordens an der Kölnstraße 415, die selbst erst 1887 vollendet worden ist. Eine kleine Statue des Hl. Lazarus, dem Fürsprecher für die Aussätzigen, in einem Bildstock an der Außenwand der Kirche verweist auf die ursprüngliche Nutzung des Geländes: Hier, weit vor der Stadt, befand sich wohl schon seit dem 14. Jh. ein Anwesen für Leprakranke („Siechenhaus“) mit einer Kapelle.

Der „Katholische Verein Bonn“ errichtete dann seit 1868 Zug um Zug die große „Unterrichts- und Erziehungsanstalt St. Joseph auf der Höhe“, die mittellosen Jugendlichen zu einer handwerklichen Ausbildung verhalf. Während des Ersten Weltkriegs musste diese Einrichtung wegen finanzieller Probleme schließen. Es war ein Zufall, dass 1920 der Redemptoristenorden mit seiner namensgleichen Schule, dem Collegium Josephinum, in die Gebäude einzog und bis heute nutzt.

Hochgericht und Nordfriedhof

Auf alten Karten finden sich unweit der Kölnstraße die Wegenamen „Gerichtsweg“ und „Galgenpfad“. Diese Wege führten zum Schindanger und Bonner Hochgericht mit Galgen und Rädern (bis Ende des 18. Jh. genutzt) am Südrand des viel später angelegten Nordfriedhofs. Denn der entstand erst ab 1884 und stellt mit seinen Erweiterungen heute den größten Friedhof Bonns dar. Von 1980 bis zur Verlegung des Bundeshauptstadtsitzes nach Berlin fanden hier im Rahmen von offiziellen Staatsbesuchen auch die Kranzniederlegungen am Mahnmal „Den Opfern der Kriege und Gewaltherrschaft“ statt. Im Umfeld des Nordfriedhofs wuchsen entlang der Kölnstraße die ersten Wohnhäuser, bis 1913 sechs Häuser mit ca. 40 Einwohnern. Seit 1906 stand den Bürgern der Bahnhof „Bonn-Nord“ der Rheinuferbahn zur Verfügung. Die Bahntrasse verlief bis 1968 auf der Rückseite des Nordfriedhofs und ist im Gelände bis Buschdorf erkennbar geblieben; der Bahnhof stand etwa am Ende der heutigen Friedrich-Wöhler-Straße/Ecke Nordfriedhof. Dieser Bahnanschluss begünstigte 1917 die Ansiedlung eines Eisenwalzwerks, das 1927 von der „Vereinigte Leichtmetallwerke GmbH“ übernommen wurde und trotz mehrerer Eigentümerwechsel auch gegenwärtig („Norsk Hydro“) der Aluminiumverarbeitung treu geblieben ist.

Industriegebiet in Hafennähe?

Der Erste Weltkrieg und die frühen Jahre der Weimarer Republik hatten für Bonn schwerwiegende wirtschaftliche Folgen. Infolge der katastrophalen Inflation waren viele ursprünglich vermögende Familien verarmt, deren Steueraufkommen der Stadt jetzt fehlte. Die Ansiedlung von Industrie sollte da Abhilfe schaffen. Was heute Auerberg darstellt, gedachte man nach einem Plan von 1926 komplett als Industriegelände zu nutzen, von der Josefshöhe bis zum Engländerweg! Schon 1924 war der Rheindorfer Hafen auf dem Gelände eines kleineren „Handelswerft“ von 1898 fertiggestellt und mit einer eigenen „Werftbahn“ mit der Rheinuferbahn und dem Verschiebebahnhof Buschdorf (1974 eingestellt) verbunden worden. (Die Trasse ist als Graben neben der Saarbrückener Straße und gern genutzter Radweg bis zum heutigen Rheindorfer Hafen noch vorhanden.)

Die „Nordrandsiedlung“

Aber kein einziges Industrieunternehmen siedelte sich da an, wo heute rund 10.000 Menschen leben. Dem Reichsheimstättengesetz von 1920 war es zu verdanken, dass die Stadt Bonn 1933 zunächst erwerbslosen Handwerkern Erbpachtgrundstücke anbot, wenn sie sich in Eigenleistung bescheidene „Siedlerhäuser“ bauten und auf 800 bis 1000 qm Selbstversorgung und Kleintierhaltung betrieben. Bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs wuchsen entlang der heutigen Eupener, Allensteiner, Flensburger und Saarbrückener Straße 130 Häuser für die meist kinderreichen Familien. Hinzu kamen ab 1937 weitere Häuser an der Richthofenstraße. In dieser „Nordrandsiedlung“ lebten 1939 fast 1.000 Einwohner.

Während des Krieges suchten die Menschen Schutz in einem 14 Meter tiefen Stollensystem zwischen Eupener, Allensteiner und Kölnstraße, das heute verschüttet ist, aber dessen Zugangsgebäude noch erhalten sind („Buscher Plätzchen“ in der Allensteiner Straße, Schützenhaus an der Kölnstraße 584). Dankbar, den Bombenkrieg relativ unbeschadet überstanden zu haben, errichteten einige Bürger 1953 zwischen Werftbahn und Buschdorfer Kirchweg das „Heiligenhäuschen“, das heute unter Denkmalschutz steht.

 

Abb. 6  Auerberg, Juli 2018, Blick vom Klosteracker über die Nordrandsiedlung mit St. Bernhard, anschließend die Bungalow-Siedlung und die Bebauung der 1960er und 1970er Jahre und die neue Mitte. Das Siebengebirge bildet die Kulisse im Hintergrund. Bild: Drohnenfoto Jürgen Zens

Im Zeichen der Bundeshauptstadt

Der Bau der katholischen St.Bernhard-Kirche am Rand der Nordrandsiedlung 1955/56 markierte einen wichtigen Schritt in der weiteren Entwicklung der Besiedlung. Infolge reger Bautätigkeit war die Einwohnerzahl bis 1961 gegenüber 1939 nahezu verdoppelt (1.828 E.) und sie verdoppelte sich bis 1970 erneut auf 3.780. Die Bebauung der Seehausstraße und die Bungalow-Siedlung links und rechts der Flensburger Straße waren hinzugekommen. Wäre der Plan des Jahres 1963 komplett umgesetzt worden, das gesamte freie Feld zwischen Josefshöhe, Köln- und Kopenhagener Straße massiv zu bebauen (vergleichbar Neu-Tannenbusch), hätte man bald mindestens weitere 15.000 Einwohner gehabt. Wo sich heute die Bernhardschule, der Bürgerplatz und das „Studentenwohnheim Pariserstraße“ befinden, plante man damals ein Wohnhochhaus und Krankenhaus mit 300 Betten. Der Standort des Evangelischen Gemeindeforums Auerberg (1974 eingeweiht) entspricht beinahe dem Plan.

Links und rechts der heutigen Auerberger Allee stellte man sich im Rückraum der Richthofenstraße ein katholisches Gemeindezentrum und gegenüber einen Marktplatz mit Einkaufszentrum vor. Tatsächlich umgesetzt wurde die mehrgeschossige Bebauung im Bereich der Londoner, Stockholmer und Brüsseler Straße. Gegenüber dem Hauptzugang zum Nordfriedhof entstand an der Kölnstraße 1971 ein Dienstleistungszentrum mit Geschäften, Sparkasse, Post, Ärzten, Apotheke usw.. 1980 zählte man hier 6.028 Einwohner. Das Wachstum der Bundeshauptstadt Bonn fand so auch in Auerberg seinen Widerhall.

Auerberg wird erwachsen

In den dann folgenden 30 Jahren nahm man Abstand vom Hochhausbau und erschloss dagegen Bauland überwiegend für Reihenhäuser (Osloer Straße, Umgebung der Dubliner und Klemens-Hofbauer-Straße). Die Verlängerung der Straßenbahnlinie 61 von Graurheindorf über die Josefshöhe und Pariser Straße bis zur Kopenhagener Straße deutete schon 1994 an, wo Auerberg gemäß Plänen von 1988 seine neue, wiederum verdichtete Mitte mit einem Platz und umgebenden Geschäften finden sollte. Das dauerte jedoch noch bis 2015/16.

Was dem günstig zur Innenstadt und rheinnahen Erholungsflächen gelegenen vitalen Stadtteil noch fehlt, sind Räumlichkeiten für Begegnungen zwischen den Menschen aus über 100 Nationen. In Auerberg lässt es sich aber gegenwärtig (2018) für fast genau 10.000 Einwohner gut leben, wenn man auch weiterhin aufeinander zu- und freundlich miteinander umgeht.

 

Abb. 10  Auerberg, September 2018: Köln-Bonner Autobahn, Autobahnkreuz Bonn-Nord und die Flughafenautobahn grenzen Auerberg markant zu Tannenbusch, Bonn-Nord und Bonn-Castell ab. Graurheindorf mit seinem Hafen, der Rhein mit der Friedrich-Ebert-Brücke, die Siegaue und Bonn-Beuel mit seinen Ortsteilen bilden den Hintergrund. Bild: Luis Witzler

Abb. 11 Auerberg, Juli 2018: Vom Lausacker betrachtet, erkennt man schön den Verlauf der Auerberger Allee mit dem Platz in der Auerberger Mitte. Bild: Drohnenfoto Jürgen Zens

Literatur:

1. Franz Grünkorn, Jürgen Haffke, Florian Becker, Michael Dietrich: Bonns Nordwesten. Stationen der Entwicklung von Auerberg, Buschdorf, Graurheindorf und Tannenbusch. Bonn 1988, 2.Aufl. 1989.

2. Renate Schoene, Karl Wilhelm Starcke, Ruthild Stein (Hrsg.): Bonn-Auerberg. Gestern – heute – morgen. Mit Beiträgen von Auerberger Bürgerinnen und Bürgern. Bonn-Auerberg 1992.

3. Jürgen Haffke: Die Nordrandsiedlung im Zweiten Weltkrieg. In: Dat Blättche. Nachrichten aus Auerberg und Graurheindorf, Winter 2015, S. 15-20; Frühjahr 2016, S. 3/4

4. Marco Eissing, Alfred Körbel u.a.: Integriertes Entwicklungskonzept (IEK) für Bonn-Auerberg. Hrsg. v. d. Bundesstadt Bonn. Bonn 2018.

5. Karl Hoch: Grau-Rheindorf. Heimatbuch eines Bonner Vorortes. 1149 – 1949. Bonn 1949.

                                                                                                                    Dr. Jürgen Haffke